Jugendliche und Europa

Schutz vor Fake News und Wahlpflicht: Was Jugendliche sich von Europa wünschen

Eine Wahlpflicht ab einem Alter von 16 Jahren und das aktive Wahlrecht für 16-Jährige, eine strengere Kontrolle von Social Media und Schutz gegen Fake News: Das ist ein kleiner Teil der Wünsche, die Kehler Jugendliche an Europa richten. Bei der Veranstaltung „Wertsachen – was uns zusammenhält“ am Donnerstagabend bekamen junge Menschen eine Stimme. Dies ist auch ein Verdienst von Julia Göbel, die ihre Klasse bei der Podiumsdiskussion über die Herausforderungen in und für Europa vertrat. In die Stadthalle eingeladen hatte Landtagspräsidentin Muhterem Aras. Zum Ende der Veranstaltung machte Oberbürgermeister Wolfram Britz den Jugendlichen im Saal Hoffnung auf ein freies Interrail-Ticket.

Auf dem Podium in der Stadthalle diskutieren (von links) Martin Speer, Julia Göbel, Jeanne Barseghian und Stephan Preiß - moderiert von Ute Brucker.

Dass Algorithmen sie in Blasen zwingen, wo sie nur noch gefilterte Inhalte sehen und Fake News nicht zwangsläufig erkennen, ist ein Problem, das Jugendliche umtreibt, berichtete Julia Göbel. Auch immer noch mangelnde Geschlechtergerechtigkeit sei ein Thema, das die Mehrheit ihrer Mitschüler ganz oben auf der Mängelliste platziere. Ihre Klasse des sozialwissenschaftlichen Gymnasiums der Beruflichen Schulen Kehl hatte am Nachmittag in einem Workshop mit dem Autor und Aktivisten Martin Speer (4,5 MB) herausgearbeitet, was sie von Europa erwartet. Ein Ergebnis, das die fast 200 Zuhörerinnen und Zuhörer in der Stadthalle überraschte: Die Jugendlichen sprechen sich mehrheitlich für eine Wahlpflicht ab 16 Jahren aus. Im Gegenzug sollten sich Jugendliche von diesem Alter an aber auch in die Parlamente wählen lassen dürfen.

In der Podiumsdiskussion mit Martin Speer, der durch seine Kampagne FreeInterrail bekannt wurde, der Straßburger Oberbürgermeisterin Jeanne Barseghian und Stephan Preiß, dem Kreisvorsitzenden der Jungen europäischen Föderalisten, erklärte Julia Göbel, dass die Hälfte ihrer Klasse finde, dass es für Jugendliche keine Beteiligungsmöglichkeiten gebe. Sie selbst sieht das anders und verwies darauf, dass sich junge Menschen heute anders engagierten – durch Demonstrationen beispielweise. Allerdings wünscht sie sich mehr Respekt für diese Art der Beteiligung, die häufig „nicht wirklich ernst genommen wird“. So seien Jugendliche, die mit Fridays for future auf die Straße gegangen seien, häufig als Schulschwänzer verunglimpft worden.

Setzten sich am Ende der Veranstaltung gemeinsam für kostenlose Interrail-Tickets für Jugendliche ein: Oberbürgermeister Wolfram Britz und Landtagspräsidentin Muhterem Aras.
Julia Göbel (links) gab Kehler Jugendlichen am Donnerstagabend in der Stadthalle eine Stimme: Nicht nur Jeanne Barseghian hörte aufmerksam zu.

Während Julia Göbels Klasse fordert, die Waffenlieferungen zu begrenzen und die Grenzen klug zu schützen, gab Jeanne Barseghian ihrem Unbehagen gegenüber den derzeit stattfindenden Grenzkontrollen Ausdruck: Wie schon Oberbürgermeister Wolfram Britz in seiner kurzen Rede zu Beginn der Veranstaltung, betonte sie, dass der rheinüberschreitende Lebensraum eine Wertsache sei, für die es sich zu kämpfen lohne. Sie erinnerte an die dreimonatige Grenzschließung während der Corona-Pandemie, in der sie ihren damaligen Lebensgefährten und heutigen Ehemann nicht habe sehen können. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das erlebe.“ Deshalb sei es Wolfram Britz und ihr wichtig gewesen, eine gemeinsame Erklärung gegen die Grenzkontrollen zwischen den beiden Städten abzugeben. Es sei paradox und schmerzlich gewesen, dass sie von den Grenzkontrollen erfahren hätten, als Straßburg und Kehl das 20-jährige Bestehen des Gartens der zwei Ufer und der Passerelle des deux Rives gefeiert hätten, sagte die Straßburger Oberbürgermeisterin, die gleichzeitig Präsidentin des Eurodistrikts Strasbourg-Ortenau ist. Ziel in Europa sollte es sein, Hindernisse abzubauen und nicht neue zu errichten“, erklärte Martin Speer dazu.

Sicherere Räume für Mädchen und Frauen in Bahnhöfen und im Öffentlichen Nahverkehr sowie höhere Strafen für sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung gehören nicht nur für Julia Göbel zum Thema Geschlechtergerechtigkeit – neben Jeanne Barseghian und Muhterem Aras stimmt auch Martin Speer der Schülerin zu. In Julias Klasse hätten auch Jungen diese Notwendigkeiten vertreten. Die Mädchen forderten zudem niedrigere Preise für Menstruationsprodukte.

Dass bei der Europawahl 25 Prozent Europaskeptiker und Europagegner ins Europaparlament eingezogen sind, war ein wichtiges Thema der von Fernsehjournalistin Ute Brucker (Weltspiegel und Europamagazin) geleiteten Podiumsdiskussion. Dazu beigetragen hat auch das Wahlverhalten junger Menschen: Dass „23 Prozent der unter 30-Jährigen eine populistische, europaskeptische Partei“ gewählt haben, hatte Muhterem Aras in ihrer Begrüßungsrede angesprochen. „Mit den vielen Krisen steigen – verständlicherweise – auch bei euch die Sorgen“, sagte die Landtagspräsidentin und betonte: „Demokratie kann verdammt zäh – manchmal auch enttäuschend sein, wenn andere sich durchsetzen: Ein Mindestmaß an Frust gehört leider auch dazu.“ Julia Göbel stört an der politischen Diskussion, dass die Parteien sich darauf konzentrierten, sich von der AfD abzugrenzen, anstatt ihre eigenen Pläne und Lösungen in den Vordergrund zu stellen und darzulegen, wie sie diese umsetzen wollen und erhielt dabei Unterstützung von Stephan Preiß.

Deutsch-französische Jugendkultur in Form von Rap brachten Felix und Till Neumann alias Zweierpasch auf die Stadthallenbühne.

Und weil es den Abend über natürlich immer wieder um kostenlose Interrail-Tickets für junge Erwachsene ging, kamen die auch zum Abschluss des Abends noch einmal zur Sprache: Oberbürgermeister Wolfram Britz lud die Jugendlichen im Saal ein, sich an die Gemeinderatsfraktionen zu wenden. Sein Vorschlag: Die Stadt könnte den Schülerinnen und Schüler, die sich an der Veranstaltung Wertsachen beteiligt haben, ein Ticket finanzieren – wenn der Gemeinderat zustimmt.

Beim anschließenden Imbiss tauschten sich die Teilnehmenden an der Veranstaltung noch rege aus – auch mit Muhterem Aras und Martin Speer, die noch lange im Foyer der Stadthalle mitdiskutierten.

Die Rede von Landtagspräsidentin Muhterem Aras

Was ist Europa? Vor 24 Jahren nahmen 80.000 Schülerinnen und Schüler aus allen Mitgliedstaaten an einem Wettbewerb teil: Das Ziel: Ein Motto für die EU zu entwickeln. Das Ergebnis kennen wir heute alle. Die Antwort aus der Feder der Jugendlichen war: „In Vielfalt geeint“, „Unie dans la diversité“. Dass die Verantwortlichen damals für das Motto keine PR-Agentur engagierten, war kein Marketing-Stunt. Denn: Europa ist ein Projekt für die Zukunft. Und wer ist besser geeignet ein Zukunftsprojekt mitzubestimmen, als die zukünftige Generation selbst?

Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, Sie heute zu einer weiteren Veranstaltung der Reihe „Wertsachen – was uns zusammenhält“ begrüßen zu dürfen. Seit 2017 organisieren wir sie, zu unterschiedlichen Artikeln des Grundgesetzes, immer in verschiedenen Städten Baden-Württembergs.

Die Verfassung und ihre Werte sind unser Wertefundament – wir dürfen sie nicht als selbstverständlich hinnehmen. Die Werte des Grundgesetzes sind zeitlos, doch die Zeiten ändern sich. Immer wieder werden unsere Werte auf die Probe gestellt oder aktiv angegriffen. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind unsere Wertsachen, wir müssen gemeinsam auf sie aufpassen! Heute wollen wir, hier in Kehl, den Fokus auf das Thema richten: Demokratie in Europa – Von der Vision zum gelebten Miteinander.

Liebe Gäste, Sie alle sind herzlich willkommen. Einige Gäste möchte ich namentlich begrüßen. Aus dem Landtag begrüße ich Herrn Abgeordneten Bernd Mettenleiter (Grüne). Ich begrüße Herrn Oberbürgermeister Britz – ein herzliches Dankeschön für die Gastfreundschaft in Kehl und die tolle Zusammenarbeit in Vorbereitung dieser Veranstaltung. Ein herzliches Willkommen der Bürgermeisterin von Straßburg, Frau Barseghian: Liebe Jeanne, danke, dass du – als Präsidentin des Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau –heute Abend mit dabei bist. Ich begrüße Herrn Stephan Preiß, Kreisvorsitzender der Jungen Europäischen Föderalisten Kehl. Ich begrüße sehr herzlich Frau Thelen, die Direktorin der Landeszentrale für Politische Bildung und ihren Stellvertreter, Herrn Professor Weber. Vielen Dank für die wunderbare Zusammenarbeit.

Vor allem begrüße ich die vielen jungen Menschen im Saal: die Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende. Stellvertretend für euch alle begrüße ich Julia Göbel vom sozial- und gesundheitswissenschaftlichen Gymnasium Kehl, die gleich auf dem Podium platznehmen wird. Ihre Klasse hat heute mit Martin Speer in einem Workshop Zukunftsvisionen von Europa erarbeitet – auf die Ergebnisse bin ich schon sehr gespannt.

Ich freue mich sehr, Sie begrüßen zu können, lieber Herr Speer! Dank Ihrer Initiative „Free Interrail“ konnten seit 2018 mehr als 300.000 Jugendliche – im Rahmen von „DiscoverEU“ – Europa und seine Menschen kennen lernen: Ein unschätzbarer Beitrag zur europäischen Integration. Danke, dass Sie den Tag mitgestalten.

Muhterem Aras trug sich am Ende der Veranstaltung ins Goldene Buch der Stadt ein.

Ebenfalls begrüße ich Herrn Frey, Präsident des Euro-Instituts Kehl, Herrn Professor Dr. Beck, Rektor der Hochschule Kehl, Herrn Dr. Schuber, Geschäftsführer des Europa-Zentrums BW sowie Herrn Godonaise, Président Les Jeunes Européens.

Ein herzliches Willkommen auch allen internationalen Gästen aus Straßburg. „International“ klingt nach einer langen Reise, dabei hatten Sie wahrscheinlich eine der kürzesten Anfahrten. Vielleicht mit der gerade im Song erwähnten Tram-Linie D.

Meine Damen und Herren, als ich 2016 zum ersten Mal zur Landtagspräsidentin gewählt wurde, habe ich versprochen, mich mit ganzer Kraft für den Erhalt unserer Grundwerte einzusetzen. Denn unsere Grundwerte sind das, was uns als Gesellschaft zusammenhält. Die ein Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft ermöglichen. Und seit 75 Jahren haben wir das auch schriftlich: Denn vor 75 Jahren trat das Grundgesetz in Kraft. Das Grundgesetz ist die Antwort auf die grausame NS-Zeit, auf den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. Nie wieder darf so ein Menschheitsverbrechen geschehen.

Deshalb steht ganz vorne im Grundgesetz, in der Einleitung, unter den ersten Worten – „Europa“. Da heißt es: Wir geben uns dieses Grundgesetz, „von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Wir haben also lange von einem vereinten Europa geträumt, bevor es die EU überhaupt gab. Und wir wollten am Frieden in Europa mitwirken, nachdem unser Krieg den Kontinent verwüstet hatte.

Das war die Vision, die die Gründungsmütter und-väter vor 75 Jahren hatten. Und heute? Haben wir es geschafft, diese Vision mit Leben zu füllen? Ich sage: Ja, das haben wir! 2012 erhielt die EU den Friedensnobelpreis. Nächstes Jahr werden wir auf 80 Jahre Frieden, 80 Jahre keinen Krieg innerhalb des Staatenverbundes zurückschauen können. Achtzig Jahre! Im Vergleich: In den 80 Jahren vor 1945 gab es mehr als 25 kriegerische Auseinandersetzungen auf dem Gebiet der heutigen EU. Einschließlich der zwei verheerenden Weltkriege. Der zweite UN-Generalsekretär, Dag Hammerskjöld, sagte einmal über die Vereinten Nationen: „Die Vereinten Nationen wurden nicht gegründet, um uns in den Himmel zu bringen, sondern um uns vor der Hölle zu retten!“ Im Gegensatz dazu hat die EU noch sehr viel mehr geleistet, als Kriege zu verhindern.

Denn die EU ist mehr als ihre Verträge. Die EU ist mehr als ein Wirtschaftsblock. Die EU ist – vor allem zwischen der Region Grand Est und Baden-Württemberg – Alltag! 23 000 Menschen pendeln hier täglich über die Grenze. Jugendliche konnten diesen Sommer mit dem Deutschlandticket auch in der Region Grand Est, beziehungsweise dem Pass jeune in Baden-Württemberg reisen. Mehr als 2.000 Städtepartnerschaften verbinden Frankreich und Deutschland. Allein 460 Verbindungen gehen von baden-württembergischen Kommunen aus. In der Eurométropole verwalten wir gemeinsam, im Universitätsverbund EUCOR forschen wir zusammen, über ARTE informieren wir miteinander, auf dem Rhein patrouilliert eine deutsch-französische Wasserschutzpolizei, und heute startet am Oberrhein die grenzüberschreitende Katastrophenschutzübung „Magnitude“.

Martin Speer im Interview mit Moderatorin Ute Brucker.

Das ist die Grundlage für ein gutes Zusammenleben, das ist die Grundlage für gegenseitiges Verständnis, das ist die Grundlage für unseren Wohlstand, das ist Europa, meine Damen und Herren!

Vor dem Hintergrund dieser Erfolge erstaunt – und entsetzt – das Erstarken demokratiefeindlicher und europa-skeptischer Kräfte umso mehr! Nach der letzten Europawahl haben die drei europa-skeptischen Fraktionen einen Sitzanteil von 26 Prozent im Parlament! In sieben Mitgliedstaaten sind nationalistische Parteien an der Regierung beteiligt. Und in sieben weiteren Ländern sind sie aktuell nach Umfragen stärkste oder zweit-stärkste Kraft. Die Gründe dafür sind von Land zu Land unterschiedlich ausgeprägt. Zum einen geriet das Wohlstandsversprechen der Regierungen und der EU durch die hohe Inflation ins Wanken.

Zum anderen werden die zentralen Werte der EU – Menschenrechte, Würde, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit – seit 2015 mit der zunehmenden Migration zum ersten Mal wirklich auf die Probe gestellt. Das zeigt sich auch im Alltag: Aktuell führen acht Mitglieder des Schengenraums wieder Grenzkontrollen durch – an den deutschen Grenzen seit Mitte September und in Frankreich ab 1. November ebenfalls. Meine Damen und Herren, geschlossene Grenzen entsprechen nicht dem europäischen Geist! Egal, ob es eine bürokratische, eine rechtliche oder eine technische Grenze ist: Die beste Grenze innerhalb der EU ist die, die nicht vorhanden ist. Die EU ist dazu da, Hürden abzubauen, nicht, um neue Hindernisse zu errichten.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die EU und viele Mitgliedstaaten – auch nach neun Jahren – das Dilemma zwischen Humanität gegenüber Migranten und sicheren europäischen Grenzen aus Sicht ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht zufriedenstellend gelöst haben. Das gibt rechtsextremen und populistischen Kräften Auftrieb: Und sobald diese eine kritische Masse erreicht haben, schränken sie neben den Rechten von Migrantinnen und Migranten bald auch die Rechte weiterer Gruppen ein: Wie Einschränkungen im Abtreibungsrecht in Polen und Italien, wie Einschränkungen von Gerichten, Medien und Wissenschaft in Ungarn.

Damit alle Europäerinnen und Europäer gleichermaßen von den Rechten profitieren, die ihnen die Charta der Grundrechte und die EU-Verträge garantieren, braucht es auch in Zukunft eine starke EU! Wie unsere Demokratie muss Europa eine wehrhafte Einheit nach innen und nach außen sein. Wie unsere Demokratie ist das Projekt Europa nicht selbstverständlich. Wir müssen für sie werben und sie stetig weiterentwickeln, damit auch die nachfolgenden Generationen in Frieden und Wohlstand leben können.

Liebe Jugendliche, liebe junge Erwachsene, ich wünsche euch und Ihnen ein starkes Europa! Mit einem starken Europa habt ihr so viel mehr Gestaltungsraum für euer Leben, für eure Träume und Ziele. Die aktuelle Shell-Studie stellt fest, dass ihr viel politischer seid als Gleichaltrige vor ein paar Jahrzehnten. Und ihr engagiert euch auch mehr. Ihr wollt viel mehr gestalten, weil ihr dem Staat und unserer Demokratie vertraut, weil ihr mehrheitlich optimistisch in die Zukunft schaut. Ich hoffe, ihr findet euch darin wieder, denn: diese Studienergebnisse machen mir Mut.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Politik ist das Entscheiden im Dilemma. Die perfekte Lösung, die für alle zufriedenstellende Antwort, gibt es nicht. Gleichzeitig drängen politische Fragen so sehr, dass Entscheidungen unausweichlich zur Demokratie dazu. Davon dürfen wir uns nicht entmutigen lassen.

Demokratie garantiert ein Leben in Freiheit, das heißt, wir können unsere Meinung frei äußern, wir können jeden Beruf ergreifen, wir können lieben, wen wir wollen. Die Demokratie garantiert, dass alle an der Gestaltung des Zusammenlebens aktiv mitwirken können.

Wenn eure Generation jetzt sagt, dass ihr mehr Gehör verdient, einen festen Platz in der Diskussion, dann habt ihr Recht! Im Umkehrschluss habt ihr eine Mitverantwortung als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, dass wir als Gesellschaft zusammenhalten und die Krisen gemeinsam angehen. Deshalb mein Appell: Bewahrt euch den Grundoptimismus, bewahrt euch das Engagement, und bewahrt euch das Grundvertrauen in die Demokratie und in Europa!

Die Rede von Oberbürgermeister Wolfram Britz

Ich freue mich sehr, dass Sie, sehr geehrte Frau Aras, Kehl als Ort für diese Veranstaltung ausgewählt haben. Sie haben es in Ihrer Einladung zum heutigen Abend auf den Punkt gebracht: Wir leben jeden Tag Europa. Und wenn ich wir sage, dann meine ich Straßburg und Kehl, dann meine ich unseren rheinübergreifenden Lebensraum, zu dem wir längst zusammengewachsen sind.

Der Titel, den Sie für die Veranstaltungsreihe gewählt haben, passt ebenfalls perfekt zu uns und unserem Lebensraum: „Wertsachen – was uns zusammenhält.“

Die grausamen Nachrichten aus den Kriegsgebieten in der Ukraine und im Nahen Osten zeigen uns jeden Tag, welch eine unschätzbare Wertsache der Frieden ist, den wir hier an der Nahtstelle zwischen Frankreich und Deutschland seit fast 80 Jahren leben dürfen.

Schülerinnen und Schüler aus der Klasse des sozialwissenschaftlichen Gymnasiums, die den Wortshop mit Martin Speer (zweiter von rechts) gemacht haben, zusammen mit Muhterem Aras und OB Wolfram Britz.

Dass unsere Vorfahren den Boden bereitet haben, dass aus Erzfeindschaft Freundschaft werden konnte, ist ein Wert, den zu bewahren wir als Aufgabe unserer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sehen.

Und so nutzen wir den Instrumentenkasten der grenzüberschreitenden Kooperation seit inzwischen mehr als drei Jahrzehnten, um gemeinsame Infrastruktur zu schaffen. Infrastruktur, die uns zusammenhält, wie die grenzüberschreitende Tram und die deutsch-französische Kinderkrippe.

Wir schaffen Möglichkeiten der Begegnung, des Austauschs und des Kennenlernens, so wie heute Abend: Ich habe mich sehr gefreut, verehrte Frau Landtagspräsidentin, dass Sie meine Amtskollegin, Jeanne Barseghian, als Podiumsgast zu dieser Veranstaltung eingeladen haben.
Denn es braucht viel Begegnung und noch viel mehr Austausch, damit wir nicht nur mit dem Intellekt verstehen, wie unsere unterschiedlichen Systeme funktionieren, sondern auch im Bauch spüren, wie wir ticken und welche gemeinsamen Werte uns zusammenhalten.

Interkulturelles Zusammenleben ist für uns eine Wertsache – auch wenn und gerade, weil es nicht immer nur einfach ist. Und zumindest im Kleinen, für die Eurométropole de Strasbourg und die Stadt Kehl, haben wir das umgesetzt, was Sie, sehr geehrter Herr Speer, für die EU vorgeschlagen haben: Bei uns kann jedes Kind bis zu seinem 18. Geburtstag kostenlos eine Dauerkarte für das komplette grenzüberschreitende Tramnetz bekommen.

Indem wir die Mobilität über den Rhein so leicht machen, wie es nur irgend geht, eröffnen wir Möglichkeiten des Kennenlernens und der Begegnung. Und, so hoffen wir, wer als Kind und Jugendlicher die Bequemlichkeit und die Leichtigkeit des Öffentlichen Nahverkehrs erkennt, der nutzt ihn dann auch als Erwachsener.