Bunt leuchteten die 2,5 mal 1,5 Meter großen Tafeln unterhalb des monumentalen Ehrenmals schon von weitem und erfüllten damit den im vergangenen Jahr von Mitgliedern der Zeitzeugen-AG im Rahmen ihres Sprechtheaters geäußerten ersten Wunsch: „Es sollte hier Kunstwerke geben, gegen Hass und Gewalt“. Vor dieser für den sogenannten Ehrenfriedhof ungewohnt farbenfrohen Kulisse erinnerte Thomas Wuttke daran, dass die beiden 104 und 77 Jahre zurückliegenden Weltkriege mit jedem Jahrzehnt in weitere Ferne gerückt seien – weil man in Deutschland „das unglaubliche Glück hat, in Frieden leben zu dürfen“.
In Syrien herrscht seit 2011 Krieg. Mehr als eine halbe Million Menschenleben habe der Krieg seither gefordert. 90 Prozent der Syrer lebten in Armut, 60 Prozent litten nach Angaben der UN unter der schlimmsten Hungerkrise seit Kriegsbeginn. „Die Berichte über den Krieg in Syrien – diesen Albtraum ohne Ende – sind rar geworden bei uns. Seit das gleiche Russland, das in Syrien ganze Städte sinnlos zerstört hat, am 24. Februar in die Ukraine eingedrungen ist.“ Auch hier nannte Thomas Wuttke Zahlen: „6430 getötete Zivilisten. 402 davon sind Kinder. 9865 Zivilisten wurden verletzt, die meisten sehr schwer – darunter 739 Kinder.“ Es sind die Mindestzahlen, welche die UN bestätigt hat. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte gehe davon aus, dass die tatsächliche Anzahl von Toten und Verletzten in der ukrainischen Zivilbevölkerung sehr viel höher ist.
Am 25. Februar stand ein Panzer im Vorgarten des Hauses, in dem Anna Kukharuk aufgewachsen ist. „Wir werden diesen Tag als unseren zweiten Geburtstag feiern“, knüpfte die Ukrainerin an. „Die Soldaten, die gekommen sind, waren aus der Ukraine. Sie haben gesagt, dass wir sofort fliehen müssen.“ Sie, ihre Mutter, ihre Schwester, nahmen mit, was sie auf die Schnelle greifen konnten, und so begann ihre Flucht „Wir haben sehr schlimme Sachen gesehen und erlebt, bevor wir das Land verlassen konnten. Meine kleine Tochter ist traumatisiert“. Anna Kukharuk dankt für die Hilfe, die sie, ihre Tochter, ihre Schwester und ihre Mutter in Kehl gefunden haben, doch die Angst, um ihren Mann, ihren Vater, ihre Verwandten und Freunde in ihrer Heimat ist allgegenwärtig. „Jeden Morgen zögere ich, bevor ich mein Handy zur Hand nehme. Jedes Mal zittert das Telefon in meiner Hand. Es kostet mich Kraft, die Messengerdienste zu öffnen. Ich habe große Angst, vor dem, was ich dort lesen könnte. Ich habe große Angst, wenn dort nichts ist, was ich lesen könnte. Ich habe Angst, dass ich eine Todesnachricht bekommen könnte. Und ich habe Angst, dass keine Nachricht Tod bedeuten könnte. Jeden Morgen. Jeden Tag. Jeden Abend.“ Sie bittet die Bundesregierung weiterhin um Hilfe für ihr Land und hofft auf ein baldiges Ende des Krieges und auf eine befreite Ukraine: „Jeder Mensch hat das Recht, in Frieden in seinem eigenen Land leben zu können.“ Was es mit Kindern macht, wenn der Krieg den Vater tötet, ob es in Kriegen überhaupt Sieger geben kann oder ob nicht alle Parteien zwangsläufig immer Verlierer sind, das sind die Fragen, mit denen sich x Schülerinnen und Schüler des Einstein-Gymnasiums in künstlerischer Form auf sechs Graffiti-Wänden auseinandergesetzt haben. Reflektiert haben sie gemeinsam mit ihrem Lehrer und Leiter der Zeitzeugen-AG Uli Hillenbrand, die Technik, um ihre Gedanken mit der Sprühdose anschaulich zu machen, hat ihnen der Offenburger Graffiti-Künstler Raphael Lieser vermittelt. Thomas Wuttke dankte den Neuntklässlern für ihren Einsatz, hauptsächlich außerhalb des Unterrichts und in den Herbstferien und lud sie ein, sich aktiv einzubringen, damit der sogenannte Ehrenfriedhof zu einem Ort des Gedenkens werden könne, den auch junge Menschen wahrnähmen und besuchten. Der Beitrag der Mitglieder der Zeitzeugen-AG habe gezeigt, dass Handlungsbedarf bestehe, hatte Thomas Wuttke erklärt, bevor er den Jugendlichen das Wort übergab: Die Schülerinnen und Schüler hätten deutlich gemacht, „dass wir nicht länger hinnehmen sollten, dass ausgerechnet bei uns eine nach 1945 im NS-Stil erbaute Anlage unkommentiert fortdauert. Als eines der seltenen Beispiele in der gesamten Republik“. Die von Robert Tischler nach dem Muster seiner in der Nazi-Zeit errichteten Totenburgen geplante Anlage, sei bereits bei seiner Fertigstellung 1958 anachronistisch gewesen und „wirkt heute gänzlich aus der Zeit gefallen“. Dies umso mehr, weil das Gedenken längst auch „gemeinsam mit unseren französischen Nachbarn und Freunden“ erfolge. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die inzwischen Alltag sei, haben zu einem rheinübergreifenden gemeinsamen Lebensraum geführt. Das Bemühen, die Beziehungen zu den französischen Nachbarn zu intensivieren und Synergien zu schaffen, diene nicht zuletzt auch dazu, eine friedliche Zukunft zu gestalten: „Nun gilt es, dies auch an diesem Ort sichtbar zu machen, an dem wir heute stehen“, schlussfolgerte Thomas Wuttke und zitierte die Vorschläge der Gymnasiasten aus dem vergangenen Jahr: