Über die Umgestaltung

Zeitzeugen-AG gestaltet Kriegsgräberstätte um

Seit 2021 Jahren gestaltet die Zeitzeugen-AG des Einstein-Gymnasiums die traditionelle Gedenkfeier zum Volkstrauertag auf der Kehler Kriegsgräberstätte. Zusammen mit ihrem Lehrer Uli Hillenbrand verpassen die Schülerinnen und Schüler der Kriegsgräberstätte und dem Volkstrauertag mit Filmbeiträgen, Graffiti-Wänden und andere kreativen Elementen ein modernes Antlitz. Im Mittelpunkt steht dabei immer das Gedenken an und Mitgefühl mit den Opfern von Krieg, Gewalt und Vertreibung.

Was bisher geschah:

Volkstrauertag 2023 – OB Britz: „Wir setzen Menschlichkeit und Respekt gegen Antisemitismus und Rassismus

„Wir setzen Menschlichkeit und Respekt gegen Antisemitismus und Rassismus“: In jeglicher Hinsicht aktuell war die Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag am 19. November 2023 auf dem sogenannten Ehrenfriedhof. Mitglieder der Zeitzeugen-AG des Einstein-Gymnasiums und Oberbürgermeister Wolfram Britz spannten den Bogen von den Bombenangriffen 1944 auf Kehl zu den Kriegen im Nahen Osten und der Ukraine, die sich auch auf das Zusammenleben in Kehl auswirken. Anstelle der ukrainischen und der israelischen Nationalfahnen wehen nun Friedensflaggen am Rathaus.

Das Heulen von Sirenen und das Dröhnen nahender Kampfflugzeuge ließ die etwa hundert Teilnehmenden an der Gedenkfeier zu Beginn erschaudern: Das in Kooperation mit der Zeitzeugen-Arbeitsgemeinschaft und ihrem Lehrer Uli Hillenbrand entstandene Video „Bomben auf Kehl“ zeigt, eingebettet in die heutige Stadtlandschaft, die Zerstörungen, die der Angriff der Bomber am 25. September 1944 verursacht hat. Noch eindrücklicher als die Bilder sind die Berichte der Zeitzeugen, mit denen der Film unterlegt ist. Als die Bomben fielen, waren sie alle noch Kinder. Doch die grausamen Erlebnisse, die entsetzlichen Bilder haben sich so eingebrannt, dass sie im Alter von 80 oder 90 Jahren noch jedes schreckliche Detail schildern können. Und genauso, wie es ihnen ergangen sei, ergehe es heute Abertausenden von Kindern in dieser Welt, sagte Oberbürgermeister Wolfram Britz in seiner Gedenkrede: „Kinder in Israel, Kinder in Gaza, Kinder in der Ukraine, Kinder in Syrien, in Äthiopien, Kinder in mehr als 50 Ländern dieser Welt werden solche entsetzlichen Bilder ihr Leben lang in sich tragen.“ In rasantem Tempo folge Krieg auf Krieg und Krise auf Krise: „Eine einzige Flut von Bildern von Tod, Zerstörung, Bedrohung. Die Welt ist im Dauerstress und wir sind es mit ihr.“ Die Aufnahmefähigkeit schwinde, die Gereiztheit wachse, die Welle der Shitstorms erreiche nie gekannte Ausmaße. „Eine deutliche Zunahme von antisemitisch motivierten Attacken in unserem Land. Wir sehnen uns wohl alle danach, dass dies enden möge.“

Kehler Friedensflaggen

Zwar könne man von Kehl aus die Welt nicht befrieden, „aber wir entscheiden darüber, wie wir in unserer Stadt zusammenleben“, betonte Wolfram Britz: „Wir entscheiden, ob wir Gräben aufreißen, oder ob wir im Gespräch bleiben. Wir entscheiden, ob wir spalten, oder ob wir zuhören und verstehen.“ Er habe verstanden, dass ihn Kehlerinnen und Kehler nach dem grausamen Überfall der mordenden Terrorgruppe Hamas auf Israel angeschrieben und zum Hissen der israelischen Flagge vor dem Rathaus aufgefordert hätten. Er habe auch verstanden, dass Kehler Familien mit palästinensischen Wurzeln in tiefer Sorge und in Angst um ihre Angehörigen und Freunde in Gaza seien. Und dass sie Angst hätten, als Muslime unter Generalverdacht gestellt zu werden. Deshalb habe man – gemeinsam mit dem Ältestenrat – entschieden, die ukrainische und die israelische Flagge abzunehmen und individuell gestaltete Kehler Friedensflaggen zu hissen. „Wir sind überzeugt, dass wir in Kehl uns hinter den auf diesen Fahnen genannten Werten versammeln können: Wir möchten in Frieden leben, wir halten zusammen, wir setzen Menschlichkeit und Respekt gegen Antisemitismus und Rassismus.“

Umgestaltung der Gedenkstätte

Wie müsste der sogenannte Ehrenfriedhof gestaltet sein, damit sich auch Jugendliche angesprochen fühlen und sich für diese Gedenkstätte interessieren? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Zeitzeugen-Arbeitsgemeinschaft seit 2021. Das zweite Video gibt einen Überblick darüber, was die Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit ihrem Lehrer Uli Hillenbrand bislang unternommen haben. Die als große Graffiti-Tafeln gestalteten Friedensbotschaften leuchteten den Besucherinnen und Besuchern der Gedenkveranstaltung am 19. November schon vom Eingangsbereich aus entgegen. Das ist auch dem Umstand zu verdanken, dass die dunklen Hecken entfernt wurden und die Kriegsgräberstätte sich zur Stadt öffnet. Die Zeitzeugen-AG hat sich bereits im Sommer mit Professor Christian Fuhrmeister vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München und Bernhard Diehl vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge getroffen, um mehr über die Geschichte des Friedhofs zu erfahren und weitere Pläne zur Umgestaltung zu besprechen. Thomas Bringolf fasste die Ideen bei der Gedenkveranstaltung zusammen: „Wir würden gerne mindestens eine weitere große Graffiti-Wand gemeinsam gestalten. Der Eingangsbereich, aber auch die Rückseite des Friedhofs könnten mit einer größeren Friedensbotschaft auf die Bedeutung dieses Ortes hinweisen und Besucherinnen und Besucher dazu einladen, näherzukommen. Wir wollen den Weg, der von der Kinzigallee auf den Friedhof zuläuft, erkennbarer machen, zum Beispiel mit einer besseren Befestigung und Kies. Links und rechts auf den Wiesenflächen würden wir gerne Labyrinthe anlegen. Diese könnten symbolisch für die Verlorenheit stehen, die viele Menschen in Kriegen und Konflikten empfinden. Oder für die Irrwege, die zu diesen Kriegen führen. Links und rechts des Wegs, aber auch an anderen Stellen, könnten Informationstafeln stehen, denn wir wollen den Menschen, die hier begraben liegen, ein Gesicht geben. Dazu gehört für uns auch, besser zu kennzeichnen, wo die Gräber liegen. Dass sich unter dem Wachholder hinter uns die Massengräber der unbekannten Toten befinden, sollte man als Besucher erfahren können. Wir wollen Kontakt mit Nachkommen von Menschen aufnehmen, die hier begraben liegen und Informationen und Dokumente sammeln, mit denen wir das Schicksal der Toten an Beispielen zeigen können. Wir denken an Infotafeln, die mit QR-Codes ausgestattet sind und auch an Hörstationen. Die Kriegsgräberstätte sollte aber auch mehr Informationen darüber liefern, wie sie entstanden ist. Wir wollen Besucherinnen und Besuchern erklären, was sie an diesem Ort sehen, wer der Architekt dieser Kriegsgräberstätte gewesen ist und weshalb er diesen Ort so gestaltet hat. Wir wollen also, dass die Kriegsgräberstätte ein Ort zum Trauern und Erinnern sein kann. Zugleich aber auch ein Ort, der heute eine Friedensbotschaft senden kann. Und ein Ort, an dem Menschen über den Friedhof und die Geschichte Kehls etwas erfahren können. Wir wollen also möglichst vielen Menschen einen Grund geben, diesen Ort zu besuchen, statt nur daran vorbeizulaufen.“

Professor Dr. Fuhrmeister zur Zeitzeugen-AG: „Was ihr hier macht, ist eine große Sache“

Neun Schülerinnen und Schüler des Einstein-Gymnasiums haben sich, zusammen mit ihrem Lehrer Uli Hillenbrand, auf den Weg gemacht, den sogenannten Ehrenfriedhof umzugestalten. Weithin sichtbares Zeichen: Die zum Volkstrauertag 2022 im November von ihnen gestalteten Friedensbotschaften in Form von großformatigen Graffitis sind nun dauerhaft unterhalb der großen Mauer angebracht. Für die Jugendlichen ist das aber nur ein Anfang: Sie möchten die Kriegsgräberstätte so gestalten, dass sie junge Menschen anspricht. Unterstützung erhalten sie dabei von Professor Dr. Christian Fuhrmeister aus München und Bernhard Diehl vom Volksbund für Kriegsgräberfürsorge. Mit beiden haben sie sich im August 2023 vor Ort getroffen, viel erfahren und Ideen ausgetauscht.

Pläne haben die neun Mitglieder der Zeitzeugen-AG des Einstein-Gymnasiums jede Menge, doch was ist an dieser historischen vom einstigen Volksbund-Architekten Robert Tischler akribisch geplanten Stätte überhaupt möglich? Diese Frage stand im Mittelpunkt des dreistündigen Ortstermins.

„Wir sind völlig offen und beraten gerne“, ermunterte Berhard Diehl die Schülerinnen und Schüler, „für uns ist es immer positiv, wenn Kriegsgräberstätten sich öffnen“. Die Kooperation mit Jugendlichen ist für den Volksbund geübte Praxis: „Wir sind der einzige Kriegsgräberdienst, der seit 70 Jahren Jugendarbeit macht“, erklärte der Bezirksgeschäftsführer.

Volkstrauertag 2022 – Anna Kukharuk : „Jeder Mensch hat das Recht, in Frieden in seinem eigenen Land leben zu können“

Der Krieg in der Ukraine stand im Mittelpunkt des Gedenkens am Volkstrauertag am 13. November 2022. In ihrem tief berührenden Redebeitrag berichtete die Ukrainerin Anna Kukharuk von ihrer Flucht, ihren täglichen Ängsten und ihrer Hoffnung auf Frieden. Beigeordneter Thomas Wuttke erinnerte zudem an den fast vergessenen Krieg in Syrien, und Schülerinnen und Schüler des Einstein-Gymnasiums erläuterten ihre Friedensbotschaften auf sechs großflächigen Graffiti-Tafeln. 

Bunt leuchteten die 2,5 mal 1,5 Meter großen Tafeln unterhalb des monumentalen Ehrenmals schon von weitem und erfüllten damit den im vergangenen Jahr von Mitgliedern der Zeitzeugen-AG im Rahmen ihres Sprechtheaters geäußerten ersten Wunsch: „Es sollte hier Kunstwerke geben, gegen Hass und Gewalt“. Vor dieser für den sogenannten Ehrenfriedhof ungewohnt farbenfrohen Kulisse erinnerte Thomas Wuttke daran, dass die beiden 104 und 77 Jahre zurückliegenden Weltkriege mit jedem Jahrzehnt in weitere Ferne gerückt seien – weil man in Deutschland „das unglaubliche Glück hat, in Frieden leben zu dürfen“.

In Syrien herrscht seit 2011 Krieg. Mehr als eine halbe Million Menschenleben habe der Krieg seither gefordert. 90 Prozent der Syrer lebten in Armut, 60 Prozent litten nach Angaben der UN unter der schlimmsten Hungerkrise seit Kriegsbeginn. „Die Berichte über den Krieg in Syrien – diesen Albtraum ohne Ende – sind rar geworden bei uns. Seit das gleiche Russland, das in Syrien ganze Städte sinnlos zerstört hat, am 24. Februar in die Ukraine eingedrungen ist.“ Auch hier nannte Thomas Wuttke Zahlen: „6430 getötete Zivilisten. 402 davon sind Kinder. 9865 Zivilisten wurden verletzt, die meisten sehr schwer – darunter 739 Kinder.“ Es sind die Mindestzahlen, welche die UN bestätigt hat. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte gehe davon aus, dass die tatsächliche Anzahl von Toten und Verletzten in der ukrainischen Zivilbevölkerung sehr viel höher ist.

Am 25. Februar stand ein Panzer im Vorgarten des Hauses, in dem Anna Kukharuk aufgewachsen ist. „Wir werden diesen Tag als unseren zweiten Geburtstag feiern“, knüpfte die Ukrainerin an. „Die Soldaten, die gekommen sind, waren aus der Ukraine. Sie haben gesagt, dass wir sofort fliehen müssen.“ Sie, ihre Mutter, ihre Schwester, nahmen mit, was sie auf die Schnelle greifen konnten, und so begann ihre Flucht „Wir haben sehr schlimme Sachen gesehen und erlebt, bevor wir das Land verlassen konnten. Meine kleine Tochter ist traumatisiert“. Anna Kukharuk dankt für die Hilfe, die sie, ihre Tochter, ihre Schwester und ihre Mutter in Kehl gefunden haben, doch die Angst, um ihren Mann, ihren Vater, ihre Verwandten und Freunde in ihrer Heimat ist allgegenwärtig. „Jeden Morgen zögere ich, bevor ich mein Handy zur Hand nehme. Jedes Mal zittert das Telefon in meiner Hand. Es kostet mich Kraft, die Messengerdienste zu öffnen. Ich habe große Angst, vor dem, was ich dort lesen könnte. Ich habe große Angst, wenn dort nichts ist, was ich lesen könnte. Ich habe Angst, dass ich eine Todesnachricht bekommen könnte. Und ich habe Angst, dass keine Nachricht Tod bedeuten könnte. Jeden Morgen. Jeden Tag. Jeden Abend.“ Sie bittet die Bundesregierung weiterhin um Hilfe für ihr Land und hofft auf ein baldiges Ende des Krieges und auf eine befreite Ukraine: „Jeder Mensch hat das Recht, in Frieden in seinem eigenen Land leben zu können.“ Was es mit Kindern macht, wenn der Krieg den Vater tötet, ob es in Kriegen überhaupt Sieger geben kann oder ob nicht alle Parteien zwangsläufig immer Verlierer sind, das sind die Fragen, mit denen sich x Schülerinnen und Schüler des Einstein-Gymnasiums in künstlerischer Form auf sechs Graffiti-Wänden auseinandergesetzt haben. Reflektiert haben sie gemeinsam mit ihrem Lehrer und Leiter der Zeitzeugen-AG Uli Hillenbrand, die Technik, um ihre Gedanken mit der Sprühdose anschaulich zu machen, hat ihnen der Offenburger Graffiti-Künstler Raphael Lieser vermittelt. Thomas Wuttke dankte den Neuntklässlern für ihren Einsatz, hauptsächlich außerhalb des Unterrichts und in den Herbstferien und lud sie ein, sich aktiv einzubringen, damit der sogenannte Ehrenfriedhof zu einem Ort des Gedenkens werden könne, den auch junge Menschen wahrnähmen und besuchten. Der Beitrag der Mitglieder der Zeitzeugen-AG habe gezeigt, dass Handlungsbedarf bestehe, hatte Thomas Wuttke erklärt, bevor er den Jugendlichen das Wort übergab: Die Schülerinnen und Schüler hätten deutlich gemacht, „dass wir nicht länger hinnehmen sollten, dass ausgerechnet bei uns eine nach 1945 im NS-Stil erbaute Anlage unkommentiert fortdauert. Als eines der seltenen Beispiele in der gesamten Republik“. Die von Robert Tischler nach dem Muster seiner in der Nazi-Zeit errichteten Totenburgen geplante Anlage, sei bereits bei seiner Fertigstellung 1958 anachronistisch gewesen und „wirkt heute gänzlich aus der Zeit gefallen“. Dies umso mehr, weil das Gedenken längst auch „gemeinsam mit unseren französischen Nachbarn und Freunden“ erfolge. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die inzwischen Alltag sei, haben zu einem rheinübergreifenden gemeinsamen Lebensraum geführt. Das Bemühen, die Beziehungen zu den französischen Nachbarn zu intensivieren und Synergien zu schaffen, diene nicht zuletzt auch dazu, eine friedliche Zukunft zu gestalten: „Nun gilt es, dies auch an diesem Ort sichtbar zu machen, an dem wir heute stehen“, schlussfolgerte Thomas Wuttke und zitierte die Vorschläge der Gymnasiasten aus dem vergangenen Jahr:

  • „Es sollte hier Kunstwerke geben, gegen Hass und Gewalt.
  • Die Toten müssten ein Gesicht, ein Bild, ihre persönliche Geschichte bekommen.
  • Ich vermisse Blumen, einen erkennbaren Eingang, der nicht verschließt.
  • Es fehlen Tafeln mit Informationen über diesen Platz. Ein Lernpfad, der hierherführt.
  • Ein Teich mit Seerosen, ein Spiegel, in den wir schauen können;
  • ein neu gepflanzter Baum für jeden gelösten Konflikt, ein symbolisches Kreuz für jeden neuen;
  • keine massive Steinbrücke, sondern Bänke, für diejenigen, die noch heute zum Trauern hierherkommen;
  • einen umgebenden Zaun mit Latten in den Farben aller Nationen, die in den Kriegen Menschen verloren haben;
  • keinen „Heldenfriedhof“, kein „Ehrenmal“, sondern einen Ort, der deutlich macht, wie kostbar jedes Menschenleben ist.“

Die musikalische Umrahmung der Gedenkfeier durch Gunnar Sommer (Saxofon) und Jean-Michel Eschbach (Akkordeon) endete mit dem hoffnungsstiftenden Song Imagine von John Lennon vor dem traditionellen Aufstieg zum Ehrenmal und der Kranzniederlegung. Auch der VdK hat einen Kranz auf dem Ehrenfriedhof niedergelegt.

Volkstrauertag 2021 – „Ein Ort, der deutlich macht, wie kostbar jedes Menschenleben ist“ – Jugendliche gestalten Gedenken

16-Jährige und der Volkstrauertag? Dass das Gedenken an die Opfer von Kriegen, Terror und Gewalt für sie von brennender Aktualität ist, haben Mitglieder der Zeitzeugen-Arbeitsgemeinschaft des Einstein-Gymnasiums am 14. November 2021 auf eindrucksvolle Weise auf dem Ehrenfriedhof deutlich gemacht. Mit einem tiefgründigen Sprechtheater holten sie – zusammen mit ihrem Lehrer Uli Hillenbrand – den Volkstrauertag in die Gegenwart und gaben den politisch Verantwortlichen eine Aufgabe mit auf den Weg: Ein Ort, der heute noch bewegen und erinnern soll an den Krieg und seine Opfer, der muss aus ihrer Sicht ganz anders aussehen als der Ehrenfriedhof in seiner derzeitigen Form. Stilvoll umrahmt wurde die Gedenkfeier von Lea Balzar und Michael Klett an der Violine.

„Es geht nicht nur um Krieg oder Frieden“, macht Oberbürgermeister Toni Vetrano in seiner kurzen Einführung in die Gedenkstunde deutlich. Vielmehr gehe es darum, wie „wir miteinander leben, gewaltfrei miteinander leben wollen“, bereitet er den Schülerinnen und Schülern aus der zehnten Klasse den Weg. Diese lassen den Architekten des Ehrenfriedhofs, Robert Tischler (Justin Schabert), zurückkehren und seine Sicht auf die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs darstellen, seine Beweggründe, den Friedhof wie eine Burg, eine Festung zu gestalten. Und weil die Schülerinnen und Schüler, aber auch die allermeisten der Zuhörerinnen und Zuhörer, den Krieg nicht mehr erlebt haben, holen sie die Schrecken von damals zurück, indem sie Zeitzeugen-Interviews abspielen. Aus einem alten Radio dringen die Stimmen von Kehlerinnen und Kehler, die von ihren Erlebnissen und Empfindungen am 25. September 1944 berichten, als Bomben auf Straßburg und Kehl fielen. Spricht der Ort niemanden mehr an, weil die Menschen heute zu verwöhnt sind von einem Leben in Frieden und Freiheit? „Nein, die Welt brannte und brennt weiter“, halten die Sprecherinnen dem Architekten entgegen und zählen auf: „In Jugoslawien, im Irak, im Sudan, in Syrien, in Afghanistan, im Jemen, starben Hunderttausende.“ Und als sich der Architekt darauf berufen möchte, dass diese Kriegsherde weit weg sind, spielen die Sprecherinnen Meldungen ab, über Terroranschläge, über Radikalisierung und Gewalt in Deutschland: die Morde des NSU, der Mord an Walter Lübke, die Anschläge von Hanau und Halle, 1900 antisemitisch motivierte Straftaten 2019.

Ergänzt wird das Sprechtheater immer wieder von Passagen aus einem berührenden Gedicht, das Lucie Oestereich geschrieben hat und Lara Balassa vorträgt. Am Ende tritt eine Zeitzeugin auf, die selber Krieg und Flucht erleben musste: Die 18-jährige Sabahat Khanjare erinnert an die aktuelle Situation in Afghanistan, bedankt sich für ihre Aufnahme in Deutschland und bittet die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, den Menschen in ihrem Heimatland zu helfen und vor allem die Mädchen dort nicht ihrem Schicksal zu überlassen.

Wie ein Ort aussehen müsste, der noch bewegt und an die Opfer von Kriegen, Terror und Gewalt erinnert, davon haben die Jugendlichen konkrete Vorstellungen entwickelt: Er darf nicht „so traurig und kühl“, „so abweisend“, „so leer und unpersönlich“ aussehen. „Man kommt sich so verloren vor.“ Es sollte „Kunstwerke geben, gegen Hass und Gewalt“, „die Toten müssten ein Gesicht, ein Bild, ihre persönliche Geschichte bekommen“, tragen die Sprecherinnen vor. „Ich vermisse Blumen, einen erkennbaren Eingang, der nicht verschließt.“ „Es fehlen Tafeln mit Informationen über diesen Platz. Ein Lernpfad, der hierherführt.“ „Ein Teich mit Seerosen, ein Spiegel, in den wir schauen können.“ „Ein neu gepflanzter Baum für jeden gelösten Konflikt, ein symbolisches Kreuz für jeden neuen.“ „Keine massive Steinbrücke, sondern Bänke, für diejenigen, die noch heute zum Trauern hierherkommen.“ „Einen umgebenden Zaun mit Latten in den Farben aller Nationen, die in den Kriegen Menschen verloren haben.“ „Kein Heldenfriedhof, kein Ehrenmal, sondern einen Ort, der deutlich macht, wie kostbar jedes Menschenleben ist.“

Tief beeindruckt und „unsagbar dankbar“ zeigt sich OB Toni Vetrano am Ende der Darbietung der Jugendlichen und dafür für, dass sie „die Frage nach der Zukunft des Ortes aufgeworfen haben“. Auch wenn es am Volkstrauertag sehr ungewöhnlich ist, erlaubt er einen Applaus – eine Aufforderung, der die Teilnehmenden an der Gedenkstunde gerne nachkommen.
Der Oberbürgermeister verliest das Totengedenken, steigt zum Ehrenmal auf und legt dort den Kranz nieder.

An der Präsentation zum Volkstrauertag haben mitgewirkt: Simone Zieger, Ellinor Felker, Leonie Geiler, Emilie Buchert, Mia Hauß, Pauline Kelly; Neele Por, Lara Weber, Lucca Schweiger, Maja Sansa – alle aus der Zeitzeugen-AG sowie als weitere Sprecher: Justin Schabert  und Lara Balassa.

Videos

Die Umgestaltung der Kriegsgräberstätte Teil 1

Die Umgestaltung der Kriegsgräberstätte Teil 2